In vielen Unternehmen stand es schon irgendwann einmal auf der Tagesordnung: das Wissensmanagement. Der hehre Ziel: Bereitstellung von Wissen. Jederzeit, für Jedermann an jedem Ort. Doch viele Gesellschaften verzettelten sich im Klein-Klein der Technik, kamen über die Softwaretool-Frage nicht hinaus. Dabei ist und bleibt Wissen im Zeitalter der Informationswirtschaft das kostbarste Asset eines Unternehmens.

Einer, der sich seit vielen Jahren mit dem Thema Wissensmanagement beschäftigt ist Gavino Wismach. Im Rahmen seiner Buchvorstellung „Ganzheitliches Wissensmanagement“ hatte Consulting-Life.de die großartige Gelegenheit Herrn Wismach zu interviewen.

Consulting-Life.de: Herr Gavino Wismach: Seit über 15 Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Thema Wissensmanagement. Wie kamen Sie dazu?

Gavino WismachGavino Wismach: Ich komme ursprünglich aus dem Sport und war erst als Aktiver und dann als Trainer tätig. Dabei ist das Thema Lernen und Vermitteln von Wissen ein ständiger Begleiter, dass mich schließlich zum Studium der Sportsoziolgie und Politikwissenschaft geführt hat. Auch bei den ersten beruflichen Tätigkeiten ging es letztlich um Wissenstransfer: Begonnen mit der wissenschaftlichen Evaluation der Konzeptumsetzung eines Jugendzentrums, gefolgt von der Leitung eines Projekts zum Wissensaustausch zwischen Schule, Jugendsozialarbeit und Sportverein. Parallel dazu kam dann ein Psychologiestudium und die Ausbildung zum Prozessberater sowie die Beratung von Sportvereinen und -verbänden. All diese Stränge flossen im Wissensmanagement zusammen.

Schlägt man ein Buch über Wissensmanagement auf, so ist auf den ersten Seiten mit hoher Wahrscheinlichkeit das Wort ‚Wissensgesellschaft‘ abgedruckt. Was macht Ihrer Meinung nach die heutige Wissensgesellschaft so besonders?

In meinen Augen, sind es drei Aspekte, die in einander greifen. Zum Ersten steigt der Wissensanteil bei fast jeder Tätigkeit: Ein Tischler hat früher mit Hammer, Stechbeitel und Säge gearbeitet. Dazu kamen ein paar regionale Hölzer. Heute muss er verschiedenste Maschinen betätigen können und die Eigenschaften einer Vielzahl verschiedener Materialien kennen. Dazu kommt der steigende Anteil von Projektarbeit, die die klassische feste Tätigkeit mehr und mehr verdrängt. Die Mitarbeiter sind gezwungen, sich spontan mit neuen Herausforderungen, bei gleichzeitig wachsendem Zeitdruck, auseinanderzusetzten. Zum Zweiten hat die Haltbarkeit des Wissens rapide abgenommen: Die Technik entwickelt sich rasant und kaum eine Person der heutigen Zeit kann ihre gesamte Lebensarbeitszeit über in einem stabilen Arbeitsumfeld verbringen. Vielmehr verändern sich Aufgabentypen, Ausführungsarten und Hilfsmittel mehrfach. Der dritte Aspekt ist die große Verfügbarkeit von Wissen. Dabei wird das Wissen immer abstrakter: Während eine Person vor 150 Jahren ihr Wissen noch aus dem direkten Umfeld bezog (bestenfalls angereicht durch Bücher und Zeitungen) haben wir heute über das Smartphone direkten Zugang zu einer fast unendlichen Menge an Informationen, die keinerlei Berührungspunkte zu uns haben. Dazu kommt, dass Videotutorials, Podcasts oder Sprachlernprogramme neue Möglichkeiten bringen, sich Dinge beizubringen.

Diese Dinge zusammen führen dazu, dass sich unsere Art zu Lernen völlig verändert. Erstens ist Fortbildung zum Zwang geworden. Es verbessert nicht mehr die Chancen aufzusteigen, sondern ist Voraussetzung, um seine aktuelle Tätigkeit überhaupt weiter ausüben zu können. Zweitens sind die Inhalte des Lernens nicht mehr entscheidend. Viel mehr braucht es eine Methodik, sich schnell neues Wissen selbstständig anzueignen.

Kürzlich ist ihr Buch „Ganzheitliches Wissensmanagement“ im Kölner Statement Verlag erschienen. Amazon listet bei der Suche nach Büchern zum Thema Stand Dezember 2016 über 1.300 Treffer auf. Wie ordnen Sie Ihr Werk in diesen umfangreichen Literaturkanon ein?

Mein Ansatz stellt, wenn man soll will, einen Wendepunkt im Wissensmanagement dar. Bisher war die Denkweise sehr technisch und auf eine bestimmte Wissensform reduziert. Das Produkt einer Software war in der Regel der Ausgangspunkt der Überlegungen. Darüber hinaus beschränken sich bisherige Lösungen hauptsächlich auf das Faktenwissen, das so genannte deklarative Wissen. Auch wenn es immer wieder Hypes gab, ebbte die Begeisterung auch schnell wieder ab, weil der erwartete Effekt nicht eintrat.

Mein Ansatz ist ganzheitlich, prozessorientiert und orientiert sich mehr an der Personalentwicklung als an der IT. Bisherige Systeme vermitteln in der Regel Faktenwissen, Anwendungsdaten, wenn man einen Vergleich zum Computer zieht (vgl. Computer representational unterstanding of mind, CRUM). Doch was helfen Anwendungsdaten, wenn man kein Programm hat, um sie zu öffnen? Die Programme sind dabei die Fähigkeiten der einzelnen Mitarbeiter (prozedurales Wissen). Mein Ansatz vermittelt also nicht nur die Daten, sondern auch die notwendigen Programme. Schließlich würde kaum ein Unternehmen auf die Idee kommen, dass sich der Mitarbeiter so etwas wie Textverarbeitungssoftware oder Mailprogramm selbst besorgt.

Zum Zweiten verstehe ich Wissensmanagement als einen Kommunikationsprozess zwischen einem Wissensgeber und einem Wissensempfänger. Wenn wir uns beispielsweise ein Unternehmenswiki anschauen, dann ist durch die Einführung einer Software lediglich der Übertragungskanal definiert worden. Wo kommt aber das Wissen her, wie wird sichergestellt, dass der Empfänger es auch findet und wie wird das Programm im Arbeitsalltag genutzt? Wenn man diese Schritte des Prozesses nicht vor denkt, überlässt man sie dem Zufall. Hier dürfte die Erklärung sein, warum Wissensmanagement bisher die Erwartungen nicht erfüllen konnte.

Wissensmanagement soll letztlich die Erfolgschancen des Unternehmens erhöhen, indem es die Mitarbeiterqualität stärkt. Es möchte also Menschen (oder in Zukunft auch Maschinen) entwickeln und verfolgt so dieselben Interessen wie die Personalentwicklung. In der PE werden allerdings dafür allgemeine, externe Informationen genutzt. Dies hat den Nachteil, dass dies erwiesener Maßen in erster Linie die besseren Mitarbeiter stärkt und so die Leistungsschere zwischen den Mitarbeitern eher größer wird. Wissensmanagement dagegen vermittelt internes, erprobtes Wissen. Es hat sich in der speziellen Domäne bewiesen und kann von den Kollegen viel direkter übernommen werden. Dadurch verringern sich die Leistungsunterschiede in der Belegschaft. Am Rande sei gesagt, dass gerade die bisher nicht so starken Mitarbeiter die eigentliche Leistungsreserve des Unternehmens darstellen. Bei Personen, die ihr Leistungspotenzial noch nicht ausgeschöpft haben, lassen sich Leistungszuwächse schneller und einfacher
erreichen als bei Personen, die schon nah am Maximum sind.

Für schwer beschäftigte Consultants und Manager bitte in einem Satz: was ist die Kernbotschaft Ihres Buches? Und wann sollte ich als Entscheider mit akuter Zeitnot zu diesem greifen?

Im Unternehmen liegen unglaubliche Leistungsreserven verborgen, die mit einem ganzheitlichen und prozessorientierten Wissensmanagement gehoben werden können. Sie sollten zu meinem Buch greifen, wann immer sie versuchen, ihr Unternehmen zu verbessern und Wachstumsziele zu erreichen.

Für viele (mich als Akademiker eingeschlossen) ist der Begriff ‚Wissensmanagement‘ sehr abstrakt. Wie gelingt es Ihnen in Ihren Beratungsprojekten den Kunden konkreten Nutzen eines Wissensmanagementvorhabens aufzuzeigen?

Ich habe ein Prozessmodell entwickelt, dass schnell und einfach jedem Laien erklärt, was Wissensmanagement ist und wie es funktioniert. Es ist in meinem Buch auch enthalten. Dazu gehört auch eine Prozessschablone, mit der Wissensprozesse einfach visualisiert werden können.

Nehmen wir an ich bin ein Unternehmen und plane eine Wissensmanagement-Initiative. In welchen Schritten würden Sie mich mit Ihrer Firma/Marke KyberMetis unterstützen können?

Wir würden mit einer IST-Analyse und dem Bestimmen von strategischen Zielen beginnen. Welches Wissen ist eigentlich im Unternehmen vorhanden, welches ist erfolgskritisch und wo hin soll es transferiert werden. Darauf folgt eine genaue Analyse der Domäne. Was sind zum Beispiel die Rahmenbedingungen, ist das Unternehmen zentral oder dezentral organisiert, welche Vorerfahrungen haben die Mitarbeiter, usw. Darauf folgt der Design des Transferprozesses (unter anderem mit der Auswahl geeigneter Methoden) und die Implementierung.

Welche Herausforderung ist Ihren Erfahrungen nach die größere: Wissen verfügbar zu machen oder das richtige Wissen für die vorliegende Aufgabe zu identifizieren?

Ich glaube, dass der zweite Aspekt in der Praxis die falsche Frage ist. Wenn wir über Fähigkeiten reden, dann ist es nur schwer möglich, isoliert herauszufinden, welche nun eigentlich gewinnbringend ist und welche nicht. Gerade bei komplexer werdenden Tätigkeiten, wie beispielsweise bei einem Verkäufer. Es ist eher ein Strauß an Fähigkeiten, die über einen längeren Zeitraum eingeübt werden müssen, um dann im speziellen Fall in ausreichender Qualität abrufbar zu sein.

Darüber hinaus können beide Dinge auch in einem Arbeitsschritt erledigt werden, wenn man beispielsweise einen Ansatz wie das Beobachtungslernen aus der sozial-kognitiven Lerntheorie nutzt.

Welchen Tipp haben Sie, dieser Herausforderung zu begegnen?

Der erste und einfachste Tipp für Unternehmen ist, die Mitarbeiter so oft wie möglich miteinander ins Gespräch zu bringen. Wann immer Menschen miteinander sprechen oder arbeiten, findet ein Wissensmanagement statt. Gerade in den hohen Führungsebenen wird so etwas wie Flurgespräche nur als schädlich gesehen, weil der Mitarbeiter angeblich nur am Schreibtisch produktiv ist. Doch 80 % der Unternehmensinnovationen entstehen genau in diesen Gesprächen. Darüber hinaus ist Smalltalk in der Regel Anlassbezogen. Und die Firma ist für Kollegen die offensichtlichste Gemeinsamkeit. Schaffen Sie Raum und Zeit für Begegnung.

Ganz ohne eine Tooling-Frage kommt auch dieses Interview nicht aus. Hand aufs Herz: welche Software empfehlen Sie fürs unternehmensinterne Wissensmanagement und warum?

Meiner Meinung nach kommen die meisten Wissenstransferarten ohne Software aus. Aber Hilfsmittel wie Lernvideos oder Podcast bieten ein unheimliches Potential, weil sie die Mechanismen des Beobachtungslernen auch über weite Strecken und Zeitpunkt unabhängig ermöglichen.

Letzte Frage: wie sieht die Zukunft des Managements von Wissen in Unternehmen aus?

Ich bin überzeugt davon, dass Wissensmanagement sich nur dann dauerhaft in den Unternehmen etablieren wird, wenn es sich von der Softwarefixierung löst und klarmacht, dass es beim Wissensmanagement nicht um den Erhalt eines Status quo geht, sondern um eine Entwicklung der Belegschaft. Wenn dies aber gelingt, ist es meiner Meinung nach das Tool mit dem größten Leistungspotential im Unternehmen und ein
Pflichtbestandteil eines jeden erfolgreichen Betriebs.  

Vielen herzlichen Dank Gavino Wismach für das gemeinsame Interview und Ihre ausführlichen Antworten.

Das Gespräch führte Christopher Schulz, 05.12.2016

Gavino Wismach
Gavino Wismach, geboren 1982, ist Berater bei KyberMetis mit dem Schwerpunkt Wissensmanagement. Er hat einen neuen Ansatz des Wissensmanagements entwickelt, aus dem das Buch Ganzheitliches Wissensmanagement – Warum Unternehmen deutlich mehr brauchen als eine Software… entstanden ist. Darüber hinaus gab es Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Wissensmanagement – Magazin für Führungskräfte“ zu den Themen Beobachtungslernen, Prozessmodell des ganzheitlichen Wissensmanagements und dem Zusammenhang zwischen Wissensmanagement und der Personalentwicklung.



Leave a Reply

Your email address will not be published.