Seit knapp 10 Jahren findet es hoch im Norden Deutschlands statt: das Beratersymposium Oldenburg. Alle Consultants, die am Ereignis teilnehmen wollen und wie ich aus dem Süden Deutschlands kommen, haben jedoch ein klitzekleines Problem: Oldenburg ist schwer zu erreichen. Flughafen? Fehlanzeige! Bahnverbindung? Von München aus mindestens 6.5 Stunden! PKW? Fast 8 Fahrstunden aus der bayrischen Landeshauptstadt! Ich machte aus der Not eine Tugend und vereinbarte ein Interview mit dem verantwortlichen Dozenten Hans Jürgen Heinecke. Im Telefonat besprachen wir, warum das Beratersymposium ausgerechnet in Oldenburg stattfindet, was Discountberatung bedeutet und wie Consultants ihre Work-Life-Balance in den Griff bekommen.

Hans Jürgen Heinecke: am Freitag 16. März 2018 fand das Beratersymposium Oldenburg statt. Wie ist Ihr Fazit?

Es hat sich mal wieder gelohnt. Das Beratersymposium Oldenburg war spannend, unterhaltsam und lehrreich. Als Mentor habe ich das Event begleitet. Die Organisation und inhaltliche Ausgestaltung oblag den Masterstudierenden der Universität Oldenburg. Statt eines klassischen Hörsaalgebäudes fand das Symposium dieses Jahr im Bibliotheksaal (BIS) statt. Dieser Wechsel erlaubte interaktives Arbeiten, was bei den Teilnehmern auf sehr positive Resonanz stieß.

Immerhin war dies bereits die 9. Auflage der Veranstaltung. Was gab 2010 den Anlass für das Symposium, auch ausgerechnet in Oldenburg?

Warum das Beratersymposium Oldenburg? Aus vier Motiven riefen wir damals das Format ins Leben:

  1. Der Studiengang Master Management Consulting der Universität Oldenburg. Diesen wollten wir im Land bekannter machen.
  2. Der Wunsch nach einer Plattform für Unternehmensberater aus der Region Weser-Ems, also Bremen, Osnabrück, Emden und Oldenburg.
  3. Das Ziel ein Austauschforum für die Zukunft der Beratung zu etablieren in dem junge und frische Themen diskutiert werden.
  4. Die Live-Prüfungsleistung für die Studierende der Universität Oldenburg, die mit dem Event ihr Modul ‚Einführung in die Beratung‘ fertigstellen.

Natürlich läuft bei einem studentisch veranstalteten Ereignis der ein oder andere Punkt weniger elegant als bei einer klassischen Event-Organisation. Im Gegensatz dazu steht der Lernerfolg und das hohe Engagement unserer Studierende.

Bitte zwei Sätze zu den Teilnehmern. Aus welchen Organisationen stammten diese und mit welchen Fragen reisten diese in den hohen deutschen Norden?

In Summe nahmen 120 Personen am Beratersymposium Oldenburg 2018 teil. Ein Drittel – also 40 Teilnehmer – waren Unternehmensberater unterschiedlichster Couleur aus der Region Weser-Ems sowie Kollegen aus dem Ruhrgebiet, Frankfurt am Main, Kassel und Wolfsburg. 40 Personen kamen aus dem Hochschulumfeld (Professoren, Studierende und Masteranden). Schließlich stellten die Referenten das letzte Drittel. Alle Vortragende wirkten übrigens pro bono am Event mit.

Bereits weit im Vorfeld sichten wir die Themen für das Symposium. Beispielsweise untersuchten wir das aktuelle Beratungsumfeld per PESTEL Analyse, recherchierten in der Literatur, reden mit Beratungsunternehmen und führten eine Umfrage unter unseren Masteranden durch.


Mit Hans Jürgen Heinecke in der Leitung – das Telefongespräch
Welche Work-Life-Balance ist gut für Berater? Wie passiert hinter den Kulissen des Beratersymposiums? Alle Details kannst Du um rund 40-minütigen Interview nachhören.


Gehen wir etwas durch die diskutierten Themen. Eines war ‚Discountberatung‘, ein Geschäftsmodell welches wir sonst nur von Lebensmittelhändlern oder Billigfliegern kennen. Worin bestand die Quintessenz der Diskussionen?

Mit Christian Tönne konnten wir für das Thema einen Referenten verpflichten, der selbst einen Discountunternehmen im Telekommunikationsbranche geleitet hat und heute Geschäftsführer einer Oldenburger Beratung ist. Nach kontroverser Diskussion kamen die Teilnehmer zu dem Urteil, dass Discountberatung prinzipiell möglich sei. Zwei Voraussetzungen müssen jedoch greifen:

  1. Radikale Fokussierung auf ein schmales Angebotsportfolio, das kostenoptimal erbracht bzw. hergestellt werden kann.
  2. Radikale Fokussierung auf ein einzelnes Kundensegment.

Nichtsdestotrotz: eine flächendeckende Bedrohung des klassischen Geschäftsmodells Beratung wird die Discountberatung nicht werden. Für Neugeschäft ist der Ansatz jedoch interessant. Speziell wenn Sie an die vielen mittelständischen Beratungen hier in Deutschland denken. Auch heute noch wickelt ein Großteil dieser Unternehmen ihre Projekte wie ein Manufakturbetrieb ab.

Spannend ebenfalls der Punkt ‚Virtuelle Kommunikation‘. Ersetzt bald der Skype-Call das Augen-zu-Augengespräch mit dem Kunden?

In Vorbereitung des Symposium befürchteten die Studierenden, dass die Erfahrungswelt der Teilnehmer in Sachen Virtuelle Kommunikation sehr unterschiedlich ausfallen würde. Deshalb führten wir zu Beginn des Beitrags ein kleines Experiment durch. Drei Teilnehmergruppen wurden gebeten, jeweils eine Strandmuschel zu konstruieren. Das eine Team erhielt die Instruktionen per Telefon, das andere im persönlichen Gespräch und das dritte per Skype. Dieses Vorgehen führte anschließend zu interessanten Diskussionen.

Das Fazit: virtuelle Kommunikation bleibt spannend, wird jedoch den Face-to-Face Kontakt nicht ersetzen. In der Anfangsphase einer Kunden-Berater Beziehung, so die Meinung der Diskutanten, wird immer das persönliche Gespräch stehen. Natürlich haben auch wir keine Glaskugel.

Schließlich stand die Work-Life-Balance von Beratern ebenfalls auf der Agenda. Welche Teilnehmermeinungen trafen hier aufeinander?

Erlauben Sie mir hier kurz, etwas auszuholen. Überraschenderweise entscheiden sich viele unserer Universitätsabsolventen für kleine und mittlere Beratungseinheiten. Gegenüber Frankreich und den angelsächsischen Ländern besteht in Deutschland eine Ausnahmesituation. Viele Beratungen sind hier noch im Mittelstand angesiedelt.

Auf dem Beratersymposium begründete ein Teilnehmer diesen Sachverhalt mit der Arbeitsbelastung. In der Regel ist diese bei mittelständischen Beratungen geringer als bei den Großen. Übrigens betreue ich aktuell eine Masterandin zum ‚Thema Mindfulness in Top-Beratungen‘. Wie uns erste Indikationen zeigen, erkennen die Big Consultancies einen Handlungsbedarf bei ihrer Work-Life-Balance.

Aber zurück zum Symposium. Einer der Experten demonstrierte, wie Berater mit einer hohen Arbeitsbelastung umgehen können. In der anschließenden Diskussion einigten sich die Teilnehmer auf zwei Dimensionen:

  1. Selbstführung durch den einzelnen Unternehmensberater sowie
  2. die Strukturen in den Beratungsfirmen, beispielsweise Reisetätigkeit, Aufstieg zum Projektleiter und Habitus bei der Arbeit.

Wir beendeten den Themenblock sehr nachdenklich. Ich wette, dass Ihnen die Fragestellung Work-Life-Balance auf dem nächsten Symposium wieder begegnen wird.

Mit Ihrem Unternehmen TPO Consulting beraten Sie selbst in den Feldern Change Management und Strategieentwicklung. Wenn Sie ein Kunde von Anfang der 1990er mit einem aus 2018 vergleichen. Was fällt Ihnen auf?

Mit den Jahren haben sich die Beratungskunden geändert, teilweise deutlich. Heute sind Klienten viel beratungsaffiner und gehen mit Beratungen professioneller um also noch vor 25 Jahren. Eine zweite wahrgenommene Entwicklung besteht in der Entfernung von Berater und Klient. Zwischen beiden ist zunehmend der Beratungseinkäufer geschaltet. Diese dritte Instanz erwartet, dass das Problem bereits präzisiert worden ist. Nun besteht aber ein entscheidender Teil im Consulting in der Problemdefinition. Letzter Punkt ist die Beziehungsdauer und -intensität zwischen Berater und Klient. Seinerzeit in den 1990er Jahre begleitete ich Kunden oftmals entlang ihrer gesamten beruflichen Laufbahn, beginnend mit der Position als Führungskraft bis zum Vorstand. Aus meiner persönlichen Einschätzung sind Beziehungen 2018 sehr viel volatiler als damals.


Wie nützlich sind die eingebetteten Audio-Mitschnitte?

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Auch die Zunft der Unternehmensberater begleiten sich schon mehrere Jahrzehnte. Welche Veränderungen stellen Sie hier fest?

Mich stört an diesen Debatten, dass es vordergründig immer nur um die  Kommunikationstools geht. Werfen Sie stattdessen einen Blick auf die Mental- und Wertestrukturen. Diese ändern sich nur langsam bis überhaupt nicht. Ich jedenfalls kann keine Unterschiede feststellen. Im Gegenteil: ich kenne Studierende, die es offiziell ablehnen als Generation Y bezeichnet zu werden.

Meiner Beobachtung nach sind Absolventen und Juniorberater heute desillusionierter als früher. Die junge Generation weiß, dass sie Zeit ihres Lebens um einen guten Job kämpfen muss. Nichts fällt in den Schoß. Das war in meiner Generation anders. Ein guter Abschluss war ein Garant für einen attraktiven Verdienst. Beachten Sie jedoch: ich habe an der Universität Oldenburg nur mit einem Ausschnitt von Studierenden und zukünftigen Beratern zu tun. Die meisten sind Betriebswirte, teilweise auch Wirtschaftsinformatiker.

Angenommen ich bin Juniorberater, gerade am Anfang meiner Consulting Karriere. Welches Buch sollte ich Ihrer Meinung nach unbedingt lesen?

Vor genau ein paar Wochen stellte mir ein Masterstudent dieselbe Frage: „Was soll ich lesen, um mich auf die Karriere vorzubereiten?“. Damals wie heute empfehle ich den Bestseller Höllensturz* von Ian Kershaw. Im Buch geht es weder um Wirtschaft noch um das Consulting. Stattdessen steht die dramatische Geschichte Europas von 1914 bis 1949 im Zentrum. Consultants sollten immer vor Augen haben, unter welchen Rahmenbedingungen sie wirken. Sei es die offene Gesellschaft, der offene Wettbewerb, die länderübergreifende Zusammenarbeit oder die Meinungsfreiheit – das alles ist nicht selbstverständlich. Wir Berater sind extrem abhängig von unserem Umfeld.

Letzte Frage: mit welchen Themen können wir zur Jubiläumsedition des Beratersymposiums Oldenburg nächstes Jahr rechnen?

Das 10. Oldenburger Beratersymposium wird sich noch stärker dem Thema Digitalisierung widmen. Insbesondere die ‚Künstliche Intelligenz‘ und der Einfluss auf die Unternehmensberatung wird eine wichtige Rolle spielen. Der zweite Schwerpunkt liegt auf mittlere und kleine Beratungsunternehmen. Hier stelle ich mir Kooperationsplattformen vor, auf denen sich Beratungen für große Projekte zusammenschließen und gemeinsam anbieten können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit findet das Symposium am Freitag 17. März 2019 statt. Natürlich wieder in Oldenburg.

Vielen Dank für den gemeinsamen Austausch und eine gute Woche. 

Das Interview führte Christopher Schulz, am 22. März 2018.

Hans Jürgen Heinecke
Hans Jürgen Heinecke ist mit seinem Unternehmen TPO Consulting seit 25 Jahren selbstständiger Unternehmensberater im Bereich Change Management und Strategieentwicklung. Vor seiner Consulting Karriere arbeitete er als Geschäftsführer der Gründungsberatung UTB GmbH im Umfeld der Technischen Hochschule Karlsruhe (heute Karlsruher Institut für Technologie) sowie als Personalleiter bei Daimler Benz. Seit 2010 wirkt Herr Heinecke als verantwortlicher Dozent für das Beratersymposium Oldenburg und tritt dort auch regelmäßig als Keynote Speaker auf.



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