Innovation Camps, Design Science Breakouts, Creativity Bursts – irgendwie und irgendwann scheint Kreativität zum Dauermodus geworden zu sein. Kreativ sein – das gehört heute zum menschlichen Betriebssystem. Allerorts verlangt man Dir ab, dass Du, Deine Ideen, Dein ganzes Handeln kreativ ist. Doch was ist Kreativität eigentlich? Und wie gelingt es Dir in einem durchgetakteten Alltag kreativ zu bleiben? Ich sprach mit Marin Zec, Trainer, Berater und Coach für Kreativität.


Hallo Marin Zec. Wir beide waren lange Zeit an der Uni, wissen über den Wert einer guten Definition. Wie definierst Du den Begriff ‚Kreativität‘?

Marin ZecHallo Christopher! Das ist eine gute Frage. In der Literatur findet man verschiedene Definitionen, die je nach Perspektive andere Schwerpunkte setzen. So kann man beispielsweise das kreative Produkt, den kreativen Prozess, die kreative Person oder etwa auch die kreative Umgebung in den Vordergrund stellen. Alle diese Perspektiven auf Kreativität haben etwas für sich.

Ich halte den gemeinsamen Nenner der meisten Kreativitätsdefinitionen für eine gute Arbeitsdefinition: Kreativität ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, das neuartig und (für die jeweilige Fragestellung) angemessen ist.


Kreativität ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, das neuartig und (für die jeweilige Fragestellung) angemessen ist.


Kreativität braucht gedankliche und zeitliche Freiräume. Wie gelingt es Dir in einem vollgepackten Alltag kreativ zu bleiben?

Es gibt zahlreiche Strategien, die eigene Kreativität zu trainieren. In meinem Alltag versuche ich meine Denk- und Verhaltensgewohnheiten immer wieder in Frage zu stellen und aufzubrechen. Gewohnheiten sind internalisierte, reproduktive Lösungen für wiederkehrende Probleme. Psychologen gehen davon aus, dass unbewusste Gewohnheiten etwa 40% unseres täglichen Verhaltens ausmachen. Das ist nützlich, da wir unsere mentale Energie nicht wieder und wieder für dieselben Probleme und Fragestellungen aufwenden. Wir überlegen uns nicht täglich von Neuem wie wir beim Bäcker unsere Brötchen bezahlen, pünktlich ins Büro kommen oder die Kaffeemaschine bedienen. Gewohnheiten bergen aber auch die Gefahr, dass wir unaufmerksamer werden und viele Reize nicht mehr bewusst wahrnehmen. Dadurch kann wiederum unsere Kreativität leiden, da kreative Ideen zu einem großen Teil aus der Verknüpfung neuer Eindrücke mit bestehendem Wissen hervorgehen.

Im Alltag kann man dies leicht trainieren. Zum Beispiel kann man auf dem Weg zur Arbeit oder dem Fitnessstudio bewusst Umwege in Kauf nehmen. Oder man fragt eine fremde Person nach dem Weg und versucht die ungewohnte Situation wahrzunehmen und zu erfassen. Auch die fortlaufende Beschäftigung mit bislang unvertrauten Menschen und Themen liefert Inspiration und Hintergrundwissen für kreatives Problemlösen. Das kann ein neuer Roman sein, ein YouTube-Einführungsvideo zu einem bisher unvertrauten Thema oder die „Zufälliger Artikel“-Funktion der Wikipedia. So können wir einerseits unser Hintergrundwissen ausbauen und andererseits neue Gedanken und Assoziationen provozieren.

Innovation Camps, Design Science Breakouts, Creativity Bursts – manchmal habe ich das Gefühl, das bekannte Methoden in neue Schläuche mit schicken Namen verpackt werden. Warum erlebt Kreativität gerade in den letzten Jahren so einen Auftrieb?

Eine knappe, etwas grobe Antwort liegt aus meiner Sicht in dem gegenwärtigen Megatrend zur globalen, digitalen Wissensgesellschaft. Manuelle Tätigkeiten werden zunehmend automatisiert und Wissensarbeit gewinnt an Bedeutung. Für Wissensarbeiter ist kreative Problemlösung eine grundlegende Fertigkeit. Für die vorhersehbare Zukunft ist generelle kreative Problemlösekompetenz zudem eine Eigenschaft, die den Menschen auch von sogenannter Künstlicher Intelligenz unterscheidet.

Mit Seminaren & Workshops hilfst Du und Dein Kollege Frank Steffen Studierenden und Unternehmen kreativer zu werden. Ideenfindung oder Umsetzung – wo hapert es in den Organisationen öfters?

In der Praxis gibt es viele Fallstricke, die dazu führen, dass das kreative Potenzial nicht gehoben wird. Häufig wird zum Beispiel das zu bearbeitende Problem unzureichend definiert. Viele Teams stellen sich leider gar nicht die Frage, ob sie überhaupt das richtige Problem angehen. Dabei ist die konkrete Formulierung des Problems äußerst wichtig: sie steckt die Grenzen des Lösungsraums ab, den wir während der Ideengenerierung erkunden. Ein weiteres klassisches Beispiel für einen Stolperstein ist das Vermischen von Ideengenerierung und Ideenbewertung in Brainstorming-Sitzungen. Aus zahlreichen Studien wissen wir, dass dadurch sowohl die Quantität als auch Qualität der Ideen leidet.


Viele Teams stellen sich leider gar nicht die Frage, ob sie überhaupt das richtige Problem angehen.


Angenommen ich möchte heute in meinem Projektgeschäft ein klein wenig kreativer werden. Welchen Soforttipp hast Du für uns?

Das hängt sicherlich von der konkreten Situation ab. Ganz allgemein empfehle ich jedoch die klare Trennung von Ideengenerierung und Ideenbewertung. Das bedeutet, dass zuerst für eine gewisse Zeit Ideen ohne jegliche Bewertung generiert und gesammelt werden. Erst im zweiten Schritt werden die Ideen bewertet. Das klingt leichter als es ist, lässt sich jedoch mit etwas Übung jederzeit anwenden und fördert ganz unmittelbar die Kreativität.

Und andersherum betrachtet: Welcher Stolperfalle in Sachen Kreativität sollte ich unbedingt aus dem Weg gehen?

Vorschnelle Kritik! Gedanken und Ideen fallen nicht einfach so vom Himmel, sondern benötigen Zeit und Raum, um sich zu entwickeln und entfalten. Wer unkonventionelle Gedanken mit Verweis auf vermeintliche Erfahrung oder Expertise jedoch schon im Keim erstickt, verhindert auch, dass aus vermeintlich albernen, unrealistischen Gedanken schließlich innovative Lösungen entstehen.

Eine effektive Methode hierfür ist POINT. Anstatt einen unkonventionellen Beitrag direkt zu kritisieren, ruft POINT dazu auf, strukturiertes und konstruktives Feedback zu geben: Zunächst werden wenigstens drei Vorzüge des Beitrags genannt (Pluses), anschließend werden mindestens drei mögliche Potenziale des Beitrags identifiziert (Opportunities), dann werden vorhandene Bedenken als neue kreative Herausforderungen formuliert (Issues) und schließlich Ansätze genannt, wie diese offenen Herausforderungen angegangen werden könnten (New Thinking).


Gedanken und Ideen fallen nicht einfach so vom Himmel, sondern benötigen Zeit und Raum, um sich zu entwickeln und entfalten.


Letzte Frage: Hast Du einen Lesetipp speziell für Unternehmensberater, die noch beweglicher im Kopf werden wollen?

Es gibt eine Reihe von interessanten Büchern. Allerdings habe ich noch keines gefunden, dass das Thema kreative Problemlösung so darstellt, wie ich es mir wünschen würde. Daher arbeite ich selbst an einem Buch, das die Erkenntnisse der Kreativitätsforschung und bewährte Methoden aus der Praxis in kompakter Form erklärt. Interessierte können sich bis zur Veröffentlichung gerne auf meiner Webseite www.kreativitätstechniken.info informieren. Dort sammle ich praxisrelevantes Wissen zu kreativer Problemlösung.

Herzlichen Dank für Deine Zeit und den Methodentipp. Eine gute Woche, Christopher.

Das Interview führte Christopher Schulz mit Marin Zec per E-Mail, 29. September 2019


Zur Person Marin Zec
Marin Zec studierte Informatik und Philosophie in München, Augsburg und Cambridge (MA). Zwischen 2013 und 2017 promovierte er an der TU München im Bereich kollaborative, kreative Problemlösung. Seit 2012 arbeitet Marin Zec als Freiberuflicher Berater, Coach, Trainer und Dozent für Kreativität. Dazu rief er die Webseite kreativitätstechniken.info ins Leben auf der er sein Knowhow zu Disziplinen wie Design Thinking, Geschäftsmodell Innovation und Lego Serious Play weitergibt.



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