Die Bow-Tie Analyse – Risiken & Kontrollen visuell aufspüren
Als Projektleiter, Risikomanager oder Gefahrenverantwortlicher bzw. deren Berater bist Du mit folgenden Fragen konfrontiert:
- Wie lässt sich unser abstraktes Risikomanagement plastisch und kommunizierbar darstellen?
- Womit können wir die Ursachen und Auswirkungen für ein Risiko samt Gegenmaßnahmen strukturiert dokumentieren?
- Was hilft uns bei der systematischen Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit einem aufgetretenen Schadensereignis?
Unterstützung findest Du in der Bow-Tie Analyse und dem dazugehören Bow-Tie Diagramm.
Ergebnis: Ursachen, Auswirkungen und Gegenmaßnahmen für ein Risikoszenario analysiert und dargestellt
Teilnehmer: mind. 1 (besser im Team)
Dauer: 20 – 45 Minuten (je Vielschichtigkeit des Szenarios)
Utensilien: Whiteboard/Flipchart/Metaplan-Wand, Karten & Stifte oder Notebook & Office Software / Bow-Tie Analysesoftware
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Zweck
Die Bow-Tie Analyse unterstützt Dich die Ursachen und Wirkungen eines Risikoszenarios zu identifizieren, zu analysieren und zu kommunizieren. Das visuelle Verfahren zerlegt eine riskantes Ereignis schrittweise in ursächliche Faktoren und Konsequenzen und stellt diese samt der Gegenmaßnahmen im gleichnamigen Bow-Tie Diagramm dar.
Die resultierende zweiflüglige Darstellung gleicht dem Kleidungsstück Fliege (auch Querbinder), daher die englische Bezeichnung Bow-Tie.
Synonyme für die Bow-Tie Analyse sind Bow-Tie Verfahren, Bow-Tie Methode, Bow-Tie Modell, Fliege Analyse, Bow-Tie Diagramm sowie alternative Schreibweisen mit Bindestrich, als ein zusammengesetzter Begriff oder mit dem zusätzlichen Präfix ‚Risiko‘.
Aufbau
Bow-Tie Diagramm – „Wie adressieren wir ein mögliches Risikoszenario?“
Herzstück der Bow-Tie Analyse ist das Bow-Tie Diagramm (auch Bow-Tie Darstellung, Schmetterlingsdiagramm bzw. kurz Bow-Tie). Als erweiterte Form des Ursache-Wirkungs-Diagramms kombiniert dieses…
- auf der linken Seite einen Fehlerbaum mit allen hierarchisch angeordneten Ursachen für ein mögliches Risikoszenario sowie
- auf der rechten Seite einen Ereignisbaum mit allen hierarchisch angeordneten Wirkungen aus dem entstandenen Risikoszenario.
Lies das fertige Bow-Tie Diagramm von links nach rechts entsprechend dem chronologischen Ablauf von den Ursachen über das Risikoszenario zu den Konsequenzen. Versieh zudem Dein Diagramm mit Meta-Informationen wie einem prägnanten Titel, dem Datum der letzten Aktualisierung sowie den verantwortlichen Autoren.
Gefahr – „Worin besteht der Gefährdungssituation?“
Die Gefahr (auch engl. Hazard) definiert den Umfang und Kontext für das Risikoszenario und damit für das Bow-Tie Diagramm. Gefahren sind integraler Bestandteil einer Aktivität (z.B. Prozessschritt, Arbeitsablauf, Projektaufgabe) und können nicht bzw. nur unter hohen Kosten eliminiert werden. Modelliere eine Gefahr mittels einem gelben Rechteck.
Risikoszenario – „Welches Unglück kann passieren?“
Das Risikoszenario (auch zentrales Ereignis, unerwünschtes Ereignis, Risikofall, Schadensereignis, negativer Zwischenfall, Hoch-Risiko-Szenarium oder engl. Top-Event) steht für einen möglichen Kontrollverlust über die Gefahr zu einem spezifischen Zeitpunkt. Mittig im Diagramm angeordnet, verbindet es den Fehler- mit dem Ereignisbaum. Modelliere ein Risikoszenario mittels einem orangefarbenen Kreis.
Ursache – „Worin bestehen die Ursachen für das Unglück?“
Die Ursache (auch Bedrohung oder engl. Threat) ist ein nachgewiesener Grund für ein Risikoszenario. Typisch sind Unfälle, Fehlfunktionen oder zufällige Ausfälle. Ursachen können miteinander baumartig kausal in Beziehung stehen führen schließlich zum Risikoszenario. Modelliere eine Ursache als blaues Rechteck.
Wirkung – „Welche Folgen hat das Unglück?“
Die Wirkung (auch Konsequenz, Auswirkung oder engl. Consequence) ist eine gefährliche Folge des Risikoszenarios. Sie führt unmittelbar zu Verlust bzw. Schaden. Auch Wirkungen können in Gestalt von miteinander baumartig kausal verknüpft werden beginnend mit dem Risikoszenario. Modelliere eine Wirkung als rotes Rechteck. Falls für die Empfänger des Bow-Tie Diagramms relevant, ergänzt Du die Wirkung separat mit einer kurzen Beschreibung des Ablaufs.
Barriere – „Wie können wir das Unglück vermeiden und abschwächen?“
Eine Barriere (auch Kontrolle, Schwelle, Sicherungsmaßnahme, Sicherheitsmaßnahme, Schutzmaßnahme oder engl. Barrier, Mitigation oder Control) ist eine technische oder organisatorische Gegenmaßnahme, welche…
- als präventive Barriere (auch ursachenbezogene, ursachenmindernde oder ursachenseitige Maßnahme oder engl. Preventive Barrier) die Eintrittswahrscheinlichkeit des potentiellen Risikoszenarios reduziert oder ganz abstellt oder
- als wiederherstellende Barriere (auch wirkungsbezogene, schadensmindernde oder wirkungsseitige Maßnahme oder engl. Recovery Barrier) das Schadensausmaß des tatsächlich eingetretenen Risikoszenarios begrenzt oder ganz verhindert.
Barrieren lindern immer eine spezifische Ursach bzw. Wirkung. Bewerte die Wirksamkeit einer Barriere auf einer Skala von niedrig, mittel und hoch. Meist sind wenige hocheffektive Barrieren besser als viele geringwirksame. Modelliere eine Barriere als graues Rechteck.
Schwächungsfaktor – „Was könnte die Gegenmaßnahmen entkräften?“
Ein Schwächungsfaktor (auch sicherheitskritischer Faktor, Degradationsfaktor, Eskalationsfaktor oder engl. Degradation Factor oder Escalation Factor) setzt eine Barriere herab oder macht diese vollständig unwirksam. Modelliere ein Schwächungsfaktor als lila Rechteck und verbinde diesen im Diagramm mit der beeinträchtigten Barriere.
Anwendung
Mit der Bow-Tie Analyse erstellst Du für jedes Risikoszenario ein eigenes Bow-Tie Diagramm. Im Idealfall erarbeitest Du die Visualisierungsform im Team von Personen, welche sich mit der Gefahr und ihrem Top-Event sowie sinnvollen Gegenmaßnahmen auskennen. Nutzt vorhandenes Risikomaterial als Input (z.B. RAID Log, Risiko Map), falls vorhanden.
1. Gefahr & Risikoszenario definieren
Identifiziert die Gefahr und definiert das Risikoszenario und notiert beide zentral im Bow-Tie Diagramm.
2. Ursachen & Konsequenzen auflisten
Listet zunächst alle möglichen Gründe für das Risikoszenario auf der linken Seite, anschließend alle Auswirkungen auf der rechten Seite des Bow-Tie Diagramms auf.
Prüft das Ergebnis. Von links nach rechts gelesen, sollte die Darstellung fachlich stimmig sein.
3. Barrieren finden
Entwickelt präventive Barrieren, die ein Eintritt des Risikoszenarios unterbinden, sowie wiederherstellende Barrieren, die das Schadensausmaß absenken. Verbindet die Barrieren mit den Ursachen und Wirkungen.
Entscheidet Euch für wenig hochwirksame Barrieren mit den geringsten Investitions- und Betriebskosten.
4. Schwächungsfaktoren behandeln
Spürt für alle beschlossenen Barrieren Schwächungsfaktoren auf. Beschließt Maßnahmen samt Verantwortlichen diese Faktoren abzustellen und damit die Wirksamkeit der Barriere zu erhalten.
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Beispiele
Bow-Tie Diagramm für den Virenbefall
Ein wichtiges Werkzeug für Consultants ist das Notebook. Die Abbildung zeigt ein unvollständiges Bow-Tie Diagramm für das Risikoszenario Befall des Notebooks mit Computerviren.
Beachte den Schwächungsfaktor ‚Zeitnot aufgrund Projektarbeit‘ für die Barriere ‚Sensibilisierung durch Cyber Security Training‘ zur Ursache ‚Sorgloses Öffnen von E-Mailanhängen‘. Gerne kannst Du die Schwächung mit einer graufarbenen Schwächungsfaktorkontrolle wie ‚Jährliches unternehmensweites Training‘ abstellen.
Vor- & Nachteile
Pro
- Die Bow-Tie Analyse ist rasch erlernt und vielseitig einsetzbar. Wiederum ist das Bow-Tie Diagramm intuitiv verständlich, übersichtlich und einprägsam.
- Das entstehende Bow-Tie Diagramm strukturiert Ursachen und Wirkungen eines Risikos klar und verständlich und eignet sich gut für die Kommunikation. Das Bewusstsein für ein Risiko sowie präventive und wiederherstellende Maßnahmen wird gestärkt.
- Die räumliche Trennung der Elemente im Bow-Tie Diagramm fördert das strukturierte Denken beim Finden, Beurteilen und Managen von Risiken.
Contra
- Die Bow-Tie Analyse betrachtet ausschließlich Risikoszenarios mit linearen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Bei einer vielsichtigen Risikosituation mit einer großen Zahl von Faktoren stößt das qualitative Analyseverfahren samt Visualisierung an Grenzen.
- Ein Bow-Tie Diagramm ist eine statische Sicht auf ein Risikoszenario. Bei Änderungen mindestens eines der Elemente muss die Momentaufnahme erneut angepasst werden.
- Mit Barrieren, Schwächungsfaktoren und Gefahren sowie der Kombination von Fehlerbaum und Ereignisbaum ist das Bow-Tie Diagramm schwieriger zu verstehen und zu erstellen als einfachere Darstellungsformen wie das Beziehungsdiagramm oder das Ishikawa Diagramm.
Praxistipps
Tipp 1 – Diagramm für das Risikomanagement nutzen
Neben der systematischen Identifikation und Bewertung eines neuen Risikoszenarios kannst Du das Bow-Tie Diagramm gleichsam für die Darstellung einer vorhandenen Risikoanalyse nutzen. Übertrage dazu alle Ursachen, Wirkungen sowie Maßnahmen in die eingängige Darstellungsform und nutze diese fortan für das laufende Risikomanagement.
Tipp 2 – Schwächungsfaktorkontrollen explizieren
Du behandelst Schwächungsfaktoren für Barrieren durch Maßnahmen? Expliziere diese durch sogenannte Schwächungsfaktorkontrollen (engl. Degradation Controls, Degradation Factor Controls, Escalation Factor Control oder kurz DF Controls). Analog den Barrieren stellst Du Schwächungsfaktorkontrollen im Bow-Tie Diagramm durch ein graues Rechteck dar.
Degradation Controls machen Dein Bow-Tie Diagramm ausdrucksstärker aber auch komplizierter. Die Darstellung enthält nun einen zweistufigen Sicherungsprozess, der sowohl die Ursachen und Konsequenzen mittels Barrieren als auch die Schwächungsfaktoren mittels Schwächungsfaktorenkontrollen reduziert. Erkundige Dich bei den Diagrammempfängern, ob diese die grafischen Zusatzinformationen benötigen.
Tipp 3 – Nur die Top-Risikoszenarios modellieren
Jedes Risikoszenario erfordert für jede einzelne Gefahr ein separates Bow-Tie Diagramm. Dies bedeutet Aufwand – einmalig bei der Erstellung sowie wiederkehrend in der Pflege. Beschränke Dich daher auf die wichtigsten fünf Gefahren mit jeweils fünf Risikoszenarios. In Summe sind dies maximal 25 Diagramme.
Tipp 4 – Risikoszenario durch Barrierenketten mildern
Kombiniere präventive Barrieren, wie z.B.
- Einsatz technischer Hilfsmittel,
- administrative Vorkehrungen und
- Redundanzen für gefährdeter Komponenten
mit wiederherstellenden Barrieren, wie z.B.
- Einsatz technischer Hilfsmittel,
- organisatorische Maßnahmen und
- finanziellen Vorkehrungen
zu Barrierenketten. Verbindet diese Bündel an Kontrollen an den einzelnen Ursachen und Wirkungen. Barrierenketten sind wirksamer als einzelne Barrieren, kosten in Einrichtung und Betrieb dafür mehr.
Tipp 5 – Diagramm mit Zusatzinfos anreichern
Erweitere das Bow-Tie Diagramm durch zusätzliche visuelle Elemente und erhöhe damit seinen Informationsgehalt. Einige Anregungen:
- Barrieren listen die verantwortlichen Personen auf.
- Die Strichart einer Barriere zeigt an von welchem Typ diese ist (z.B. gepunktet für organisatorisch, doppelt gestrichelt für technisch).
- Die Strichstärke einer Barriere illustriert ihren Wirkungsgrad (z.B. fett für hocheffektiv, dünn für geringwirksam).
- Der Farbton einer Barriere verbildlicht ihre Lebenszyklusphase (z.B. hell für kürzlich aufsetzt, dunkel für lange in Betrieb)
Ursprung
Seit Ende der 1970er Jahre vertraut die Öl- und Gasindustrie auf die Bow-Tie Analyse. Beispielsweise nutzten die Firmen Occidental Petroleum und Texaco die Methode, nachdem 1988 ein Feuer auf ihrer Ölplattform Piper-Alpha ausbrach und 167 Beschäftigte das Leben kostete. Anfang der 1990er Jahre übernahm dann die Royal Dutch Shell Group die Bow-Tie Analyse als Unternehmensstandard für das Risikomanagement.
Mehr und mehr setzte sich die Bow-Tie auch in anderen Branchen wie Luftfahrt, Medizin, Bergbau, IT-Sicherheit und Chemie durch. Heute wird das grafische Verfahren insbesondere für die Gefährdungsbeurteilung, dem Arbeitsschutz sowie der Unfallforschung herangezogen.
Bonusmaterial
Impress Solutions: How to read a Bowtie Analysis (1min) – Beispiel für ein Bow-Tie Diagramm „Verlust der Fahrzeugkontrolle“
- DIN EN IEC 31010 – die Deutsche Industrienorm beschreibt die Bow-Tie Analyse in Grundzügen
- Bergische Universität Wuppertal: Gefährdungsbeurteilung mit dem Bow-Tie-Verfahren – Beispiel für ein Bow-Tie Diagramm „Überheizen einer Kaffeemaschine“
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