Das Jobs-to-be-Done Konzept – verdeckte Anforderungen finden
Als Innovationsverantwortlicher, Produktentwickler oder Anforderungsmanager bzw. deren Berater bist Du mit folgenden Fragen konfrontiert:
- Wie können wir neue Angebote entwickeln, welche die Zielgruppen wirklich brauchen?
- Welche Aufgaben verrichten die Kunden mit unseren Produkten?
- Welche hintergründigen Anforderungen haben die Nutzer wirklich an das System?
Unterstützung findest Du im Jobs-to-be-Done Konzept und dem Fokus auf die mit Problemen und Zielen verbundenen Aufgaben.
Ergebnis: Ermittlung von Problemen und Wünschen auf Basis von regelmäßigen Aufgaben
Teilnehmer: mind. 2 (Job-Ausführende und Job-Erfasser)
Dauer: ab 120 Minunten (je Aufgabenspektrum)
Utensilien: Notebook & Internetanschluss
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Zweck
Mit dem Jobs-to-be-Done Konzept ermittelst Du hintergründige Anforderungen von Personen. Das kundenzentrierte Tool hilft Dir, die unterbewussten Probleme und Wünsche von Kunden, Nutzern und Entscheidern ans Tageslicht zu befördern.
Nach dem Konzept liegt eine wichtige Inspirationsquelle für neue bzw. optimierte Produkte und Services in den Aufgaben der Nutzer und Kunden, den sogenannten Jobs-to-be-Done. Die Grundannahme: Menschen kaufen viele Produkte und Dienstleistungen zur Erledigung ihrer Aufgaben. Das genutzte Objekt bzw. der bestellte Service ist ihnen dabei gleich und ausschließlich Mittel zum Zweck. Sie wollen die Resultate.
Synonyme für das Jobs-to-be-Done-Konzept sind das Jobs-to-be-Done Framework bzw. die Kundenaufgaben-Methode, Nutzerjobs oder kurz JTBD.
Aufbau
Job (dt. Aufgabe) – „Was habe ich zu tun?“
Eine Änderung, die eine Person auf Basis einer oder mehrerer Anforderungen in einem bestimmten Kontext anstößt. Die Anforderung entsteht dabei aufgrund eines bestehenden Problems oder angestrebten Ziels.
Die Person bedient sich einer Lösung, daher einem Produkt oder einer Dienstleistung. Diese erfüllt den Job mehr oder weniger gut, löst bzw. erreicht damit das Problem bzw. Ziel mehr oder weniger gut und stiftet während bzw. in Folge der Verrichtung einen kleinen bis großen Nutzen.
Gain (dt. Nutzen) – „Welchen Mehrwert bringt mir die Umsetzung des Jobs?“
Die Erfüllung eines Jobs hat funktionalen, emotionalen und sozialen Nutzen. Das kann eine Erleichterung, Verbesserung oder ein anderer positiver Aspekt sein. Nicht immer werden alle drei Aspekte gleichermaßen adressiert bzw. sind im Job gleichwichtig.
Funktional („Was“)
Bei dieser Art von Aufgaben sucht eine Person Unterstützung. Sie möchten Hilfe bei der Erledigung bzw. vom Job gänzlich befreit werden. Ein typisches Beispiel ist das Schneiden der Hecke, welches eine elektrische Schere vereinfacht, wenn auch nicht ganz eliminiert.
Emotional („Wie“)
Nicht der Job selbst, sondern das Gefühl bei der Verrichtung mittels des Produktes oder Services stehen im Vordergrund. Entspannungsbäder verleihen dem ‚Job‘ Waschen einen erholsamen und angenehm duftenden Charakter.
Sozial („Wer“)
Bei einigen Jobs möchten Menschen, dass diese von ihrem Umfeld in einer besonderen Art und Weise wahrgenommen werden. Klassisch ist hier die Berufskleidung, die nicht nur der Verrichtung der Arbeit, sondern auch der Anerkennung des Berufsstands gilt.
Related Jobs (dt. verwandte Aufgaben) – „Was habe ich davor/danach/parallel zu erledigen?“
Aufgaben, die ein Mensch vor, während und nach der Erledigung eines Hauptjobs absolviert. Beim WC-Gang an der Raststätte sind vorgelagerte Aufgaben das Bezahlen an einem Münzautomaten und das Passieren des Drehkreuzes. Das Trocknen der Hände mit einem Fön oder einem Handtuch bzw. das Betrachten im Spiegel sind wiederum nachgelagerte Jobs.
Nach dem Jobs-to-be-Done Konzept kann ein identisches Angebot für verschiedene Personen unterschiedliche Jobs erfüllen. So fungiert der (fast) Alles-Könner Smartphone als Telefon, Organizer, Internetsurfstation, Musikabspielgerät, Spielkonsole etc. Die zahlreichen Apps lassen die Zahl der erfüllten Aufgaben buchstäblich explodieren.
Anwendung
Es gibt verschiedene Möglichkeiten per Jobs-to-be-Done Konzept die Anforderungen an ein (neues) Wertangebot zu ermitteln. Nachfolgend vier übliche Verfahren.
Beobachtung
Eine Möglichkeit an die Aufgaben und damit Anforderungen von Personen zu gelangen ist die Feldbeobachtung, englisch Field Observation. Von der Seitenlinie überblickst Du, wie Menschen mit dem Produkt interagieren bzw. die Dienstleistungen aufnehmen. Die Fachwelt spricht vom Shadowing, daher der (un-)bemerkten Observation einer Zielgruppe.
Praktikum
Ein alternatives Instrument ist das Apprenticing was mit ‚In die Lehre gehen‘ übersetzt werden kann. Dazu machst Du beim Kunden bzw. Nutzer ein ‚Praktikum‘, gehst in die Lehre und lernst auf Basis des realen Tagesgeschäfts die Hauptaufgaben sowie die damit einhergehenden Bedarfe und Herausforderungen kennen. Ein Praktikum dauert in der Regel mehrere Tage.
Produktstudie
Ein weiterer Weg die Jobs der Kunden herauszubekommen ist die Analyse der bereits eingesetzter Produkte & Services sowie die Aufgaben, die von diesen bereits erledigt werden. Oft reicht es, bestehende Jobs schneller, bequemer oder einfacher zu bewerkstelligen. Da Du keine neuen Daten erzeugen musst, sondern vorhandenes Material wiederverwenden kannst, ist das Desk Research eine nützliche Ermittlungstechnik.
Befragung
Schließlich kannst Du den Kunden auch auf ihre Aufgaben ansprechen, realisiert eine kontextuelle Befragung bzw. englisch Contextual Inquiry. Hilfreich sind hier die Jobs-to-be-Done Interviews bzw. Workshops. Dazu interviewest Du die Kunden zu aktiv durchlebte Tätigkeiten, achtest im Gespräch auch auf nebensächliche Details und hinterfragst mit der Five-Why-Fragetechnik.
Wichtig ebenfalls die Gefühlslage, Reize und Empfindungen der Zielperson während der Ausführung des Jobs, erhoben beispielsweise mit der Empathy Map. Die kontextuelle Befragung ist ein Mittelweg zwischen reiner Beobachtung und dem langwierigen Apprenticing.
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Beispiele
Beispiel 1: Tragen von Schuhen
Welchen Job erfüllen Deine Schuhe? Funktional schützt das Tragen von Schuhen vor Witterungseinflüssen. Zudem gibt gutes Schuhwerk und beugt Fussverletzungen vor.
Doch war es das schon? Nein! Eine ganze Schuhindustrie lebt von den emotionalen und sozialen Facetten des Schuhetragens. So verleihen attraktive Schuhe ein angenehmes Gefühl. Zudem dienen die Tretter für manche als Statussymbol. Die Botschaft: Seht her ich kann es mir leisten.
Der dem Tragen von schuhen vorgelagerte Job ist das Anziehen, beispielsweise mit einem Schuhanzieher. Nachgelagerte Aufgabe ist die Pflege mit Schuhputzmitteln bzw. einem Schuhspanner. In unterer Abbildung weitere Facetten des Jobs.
Beispiel 2: Kauen von Kaugummi
Welche Aufgabe hat das Standardprodukt Kaugummi? Auf funktionaler Ebene reinigt das Kauen eines Kaugummis Deine Zähne, schützt also präventiv vor Zahnerkrankungen. Die soziale Komponente ist der frische Atem, gut für die Mitmenschen.
Für manche ist das Kauen auch schlichtweg der Ausdruck von Coolness. Schließlich sorgt ein Kaugummi bei einigen Personen emotional für Entspannung. Kaugummikauen lässt sich prima mit vielen anderen Jobs kombinieren. So kannst Du während dem Sport, dem Autofahren oder dem Saubermachen einen Kaugummi im Mund haben.
Beispiel 3: Das Konzept in der Wirtschaft
In der Wirtschaft gibt es viele Beispiele für das Jobs-to-be-Done Konzept.
- Handwerker möchten mit Bohrmaschinen effizient und sicher Löcher in Wände bohren. Und das am besten ohne störendem Kabel.
- Vertriebsmitarbeiter wollen in kurzer Zeit bequem und preisgünstig von einem Kunden zum anderen gelangen und die Reise für ihre Vorbereitungen nutzen.
- Manager wollen auch unterwegs auf ihre elektronischen Nachrichten zugreifen, ihren Kalender organisieren und Telefonkonferenzen halten können.
Der ehemalige Apple Chef Steve Jobs behauptete: „Die Menschen wissen nicht was sie wollen, bis man es ihnen zeigt.“. Schon der Meister der Produktinszenierung wusste, dass es nicht immer um die expliziten Anforderungen der Kunden und Nutzer geht. Viel wichtiger sind deren wiederkehrenden Jobs. Produkte und Services kommen und gehen, die zu Grunde liegenden Tätigkeiten bleiben konstant. Gute Lösungen adressieren Anforderungen, die bisher schlechte oder gar keine Lösungen hatten.
Auch vom Automobilunternehmer Henry Ford stammt das Zitat „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.“. Wie Dir sicherlich bekannt ist, lieferte Ford seinen Kunden nicht schnellere Pferde, sondern am Fließband gefertigte Automobile zum erschwinglichen Preis. Der KFZ-Pionier traf damit den Nerv der Zeit, revolutionierte Produktion, Wirtschaft und Kultur einer gesamten Zivilisation. Er hörte nicht auf die Kunden, sondern sah sich ihre Jobs wie Reise, Transport oder Einkauf an.
Vor- & Nachteile
Pro
- Das Jobs-to-be-Done Konzept wirft eine neue Sichtweise auf die Anforderungen von Personen. Statt auf artikulierte Wünsche einzugehen, rückst Du die Tätigkeiten und die damit verbundenen funktionalen, sozialen und emotionalen Aspekte in den Vordergrund.
- Der Ansatz beruht auf Fakten nicht Annahmen. Statt zu mutmaßen, was Personen brauchen könnten, erlebst Du diese in ihrem täglichen Tun und leitest daraus Probleme und Bedarfe ab.
- Eine Jobs-to-be-Done Betrachtung spielt dann ihre Trümpfe aus, sobald Kunden und Nutzer ihre Bedarfe nicht äußern können bzw. wenn ausgesprochene Anforderungen von der tatsächlichen Intention abweichen.
Contra
- Anforderungen auf Basis von erledigten Jobs zu ermitteln ist ungewohnt. Es erfordert Übung, Personen zu beobachten, kontextuell zu befragen oder bei ihnen in die Lehre zu gehen.
- Die sorgfältige Umsetzung des Ansatzes kostet Zeit und generiert Aufwände. Jobs-do-be-Done Interviews, Apprenticing oder Feldbeobachtung benötigen mindestens einen halben Tag. Das ist länger als die bekannten internen Kreativsitzungen, in der neue Produktfeatures gebrainstormt werden.
Praxistipps
Tipp 1 – Die Nicht-Konsumfrage stellen
Eine neue Sichtweise auf Produkte oder Dienste erhältst Du, wenn Du die Gegenfrage stellst: „Warum nutzt der Kunde Dein Angebot nicht für seinen Job?“.
Die Fachwelt spricht hier von Non-Consumption, dem Ausbleiben des Konsums. Wie beim Brainstorming Paradox gelangst mit dem Invertieren der Frage an neue Ideen für verdeckte Anforderungen.
Tipp 2 – Mit anderen Methoden kombinieren
Das Jobs-to-be-Done Konzept lässt sich prima mit dem Value Proposition Canvas kombinieren. Denke dabei zuerst aus Kundensicht, daher „Welche Jobs erledigt mein Zielkunde?„. Anschließend versetzt Du Dich in die Angebotsperspektive und fragst „In welchen Jobs unterstützt mein Produkt?“.
Entwickle anschließend ein Minimum-Viable-Product, gerne im Rahmen eines Design Sprints.
Tipp 3 – Schmerzen bei Jobverrichtung erkunden
Betrachte neben dem Nutzen bei bzw. nach Jobverrichtung ebenfalls die Schmerzen, die ein Nutzer verspürt.
- Wo hakt es bei der aktuellen Lösung?
- Was verläuft beim Joberfüllung nicht optimal?
- Wo könnte der Mehrwert größer sein?
Notiere diese ‚Pains‘ und nutze sie als Ausgangsbasis für eine Angebotsverbesserung.
Lesetipp
Anthony W. Ulwick ist ein Jobs-to-be-Done Pionier der ersten Stunde. Auf Basis des Konzeptes entwickelte er die Methodik Outcome-Driven Innovation. Das Buch JOBS TO BE DONE: Theory to Practice kannst Du gegen Abgabe einer E-Mailadresse kostenfrei herunterladen.
Ursprung
Es waren die beiden US-Wirtschaftswissenschaftler Clayton M. Christensen und Michael E. Raynor die dem Jobs-to-be-Done Konzept in ihrem Buch The Innovator’s Solution* zur Popularität verhalfen. Ihre These: Menschen können ihre Anforderungen nicht immer klar äußern. Statt den Kunden daher nach akuten Problemen oder momentanen Bedarfen zu fragen, nimmst Du ihre Aufgaben ins Visier. Nicht der Kunde, sondern die Umstände und Tätigkeiten rücken in den Fokus.
Bonusmaterial
Edward Capaldi: Unterstanding the Job (5 min) – Clayton Christensen zum Job-to-be-Done Konzept am Beispiel eines Milchshakes
- Andreas Diehl: Jobs-to-be-done (#JTBD) – Ein neuer Blick auf Kundenbedürfnisse – ausführliche Betrachtung des Konzeptes samt dem Milchshake Beispiel
- Anthony W. Ulwick: The Jobs-to-be-Done Canvas – umfassender Canvas für die Definition eines Jobs gemeinsam im Workshop
- Mike Boysen: How To Get Results From Jobs-to-be-Done Interviews – Umfassende Erklärung der Job-do-be-Done Konzepte wie Job, Job Map und Desired Outcome Statement
- David S. Duncan und Brian Hindo: In welchem Geschäft sind Sie? – das Jobs-to-be-Done Konzept eingesetzt beim Kurznachrichtendienst Twitter
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